Bitte zweimal Nordkap und zurück! (1994)

Für Berg- und Naturfreunde mit einem zuverlässigen Pkw und Unternehmungsgeist sei die Variation einer dreiwöchigen Hütten-/Zeltreise empfohlen, die uns 1994 zur Mittsommerzeit bis zum Nordkap und auf der Rücktour auf den höchsten Berg Nordeuropas führte. Dabei wurden alle skandinavischen Länder zumindest gestreift und insgesamt laut Zähler über 8300 km zurückgelegt. Billig ist Skandinavien nicht; aber es geht billiger, als es Reisebüros empfehlen. Es gibt gute Karten und Reiseinformationen über alle Länder. Stark berührt waren wir von der Gastfreundschaft, Freundlichkeit und Ehrlichkeit der nordischen Menschen. Es ist kein Fehler, wenn man schon vorher den Stolz der Skandinavier auf ihre schönen Länder verstehen lernt und sich ihm hingibt.

Aus Zeit- und Kostengründen wählten wir mit der Route Hirtshals/Kristiansand die kürzeste Fähr-verbindung mit rund 150 km von Dänemark nach Norwegen. Sie kostete damals pro Pkw 457,20 DM, der Liter Super rechnete sich in Norwegen mit rund 1,80 DM und war in Finnland spürbar billiger. Bei der Überfahrt über den Skagerrak bewegte sich ein geschätztes Drittel der Passagiere zu oft in Relingnähe oder erlebte alles nur apathisch. Für Sammler steht nach der Landung der südlichste Punkt Norwegens mit dem Kap Lindesness zum Abhaken bereit. Uns trieb die Zeit an Stavanger vorbei zum Lysefjorden. Von unserem ersten Zeltplatz wanderten wir tags darauf mit vielen anderen unschwer zum berühmten Prekestolen/Predigtstuhl (600 m über Fjordhöhe!). Die Aussicht von dieser Höhe auf ein schneckengleiches Motorschiff mit weißer Bugwelle im Fjord lohnt sich. Danach fuhren wir über Røldal und Odda durch die Obstkammer des Landes und sahen die ersten Wasserfälle. Der Zeltplatz in Ullensvang am Sørfjorden wird uns ebenso für immer in Erinnerung bleiben wie die traumhafte Fahrt entlang des Hardangerfjords. Dort blühen im Juni noch die Apfelbäume. Die Anfahrt von Oslo nach Bergen wird auch die Märchenstraße genannt. Die regenreichste Stadt Europas begrüßte uns mit Ia Sonne. Tips: der Fischmarkt und unbedingt die Gondelfahrt zum Aussichtsberg. Dort trafen wir natürlich Friedrichshainer! Die Weiterfahrt bis Gudvangen wurde mehrfach durch das Filmen von Wasserfällen gebremst, auch manche Stabkirche war der Anlaß. Vom Zeltplatz Gudvangen aus sind allein sieben Wasserfälle sichtbar. Mehrstündig trug uns eine Fähre zuerst den Nærøfjord entlang, dann über den gewaltigen Sognefjord, der sich als Meeresbucht 200 km tief ins Land zieht. Die nächsten Tage führten über das Fjell zwischen die Hochgebirgsregionen des Jostedaalsbreen und Jotunheimen. Eismauern von 5 m Höhe neben der Straße auf 1300 m im Juli! Das obere Gudbrandsdal und die Rondane brachten uns urwüchsige Landschaften zum Bestaunen und kosteten Zeit. Trondheim wurde buchstäblich links liegengelassen, die meist ausgezeichnete E6 dehnte sich endlos neben der einzigen Nord/Süd-Bahnverbindung Norwegens durch Nordland. In einer steinigen Tundralandschaft die ersehnte Rast aller Busfahrer: Der Polarkreis ist erreicht! Kurz vor Bodø wälzte sich bei beginnender Ebbe der berühmte Saltstraumen durch eine Meerenge. Er soll E. A. Poe zu seinem "Malstrom" angeregt haben. Dieses Schauspiel muß man sich gönnen. Nach der späten Ankunft in Bodø kurzer Entschluß: statt einer Quartiersuche rasen wir vor 21 Uhr als letztes Fahrzeug auf die Fähre nach den Lofoten. 0.30 Uhr brauchen wir nach der Landung auf Vestvagøy das obligate Scheinwerferlicht eigentlich nicht, das Tageslicht weicht nicht mehr. Der Zeltplatz der Ortschaft mit dem kürzesten Namen der Welt, nämlich Á (sprich O), auf Moskenesøya ist ein Anglerparadies in einer malerischen Klippenlandschaft. Nie vergessen wir die müden Augen einer Amerikanerin, die ihren nächtlichen Fang verschenken will und keine Abnehmer findet! Nach einem Ausflug über Moskenesøya befahren wir am nächsten Tag die Inseln weiter nach Norden, sind sie doch fast alle durch riesige Brücken und Tunnels verbunden. Schwarze, glatte Granitwände von NN auf 900, ja 1000 Meter Höhe! Auf der einzigen Überfahrt genießen wir per TV den Sieg der deutschen Fußballelf. Spät abends erreichen wir Narvik. Dort erwischt uns einer der beiden einzigen Regentage; mich dazu die Erinnerung an Berichte meines Großvaters, der als ziviler Angestellter in Norwegen 1942/43 dienstverpflichtet war. Er hatte mit seinen Erzählungen über diese Landschaft, die er von Stavanger bis zum Nordkap gesehen hatte, mein Interesse früh geweckt.

Doch jetzt stellte sich der Crew auch die Vertrauensfrage. Nur bei Reduzierung mancher Besichtigungen ist das Endziel noch zeitgerecht zu schaffen! Die zunehmende Reduzierung der Landschaftsformen in der Finnmark erleichtert den Verzicht. Am 70. Breitengrad treffen wir auf die Reste einer Geschützstellung, fjordbeherrschend. Dann zeigen sich in Alta Zeugen einer Kultur, deren (nachgefärbte) Felszeichnungen teilweise älter als die Pyramiden sein sollen. Schulwissen ist doch sehr erweiterungswürdig! Wieder einmal nehmen wir spätabends die zeitlich letzte Überfahrt nach Norden, nach Honnigsvåg mit anschließender bester Asphaltpiste, denn das Nordkap liegt auf einer Insel und ist somit weder der nördlichste Punkt des europäischen Festlandes noch dieser überhaupt. Westwärts schiebt sich eine Landzunge deutlich weiter nach Norden vor. Bei steifer Brise und 300 m über dem Meeresspiegel schweift der Blick endlos über die See. Nur noch lumpige 2000 km zum Pol! Die Busherden werden kurz nach Mitternacht in ihre Hotels getrieben. Gegen 1.30 Uhr blendet uns vom Norden her im Restaurant ‚Kompass' die Sonne, die wir auch hier gepachtet haben. Neben unwirklich flach beleuchteten Rentierherden wird die Rückfahrt angetreten. Sie führt über den Norden Finnlands (Vorsicht, 360 km ohne Tankstelle!) und Ostschweden zurück nach Jotunheimen, der Heimat der Trolle. Die steilste Bergstraße Norwegens bringt uns über 18 km zu einem Berghotel der Jahrhundertwende, nach Juvasshytta. (1841 m). Wir erhaschen einen teuren Raum im Nebengelaß, ohne Wasser. Alle Berge sind verhangen. Doch der Wetterbericht klingt ermutigend. Gegen 8 Uhr geht es am höchstgelegenen Karsee Nordeuropas Juvvatnet vorbei, dessen Eisnadeln ein unwirklich zartes Klingen veranstalten. Es steilt nur leicht an. Als die Moränenfelder in Schnee übergehen, sehen wir erstmals Lemminge. Die Wolken fallen ins Tal, ein Traumtag bricht an, unserer Silberhochzeit würdig. Gemütlich erreichen wir für diesen Anlaß nach drei Stunden den Galdhøppigen (2463 m) bei zauberhafter Sicht. Dann sehen wir, wie auch norwegische Bergführer das Vertrauen von Touristen mißbrauchen, die sie in sinnlosen Kurven dicht an der einzigen Gletscherspalte vorbeiführen, um den Gebrauch fragwürdiger Seilfragmente zu begründen.


Pause vor dem Galdhøppigen / Die letzte Sichel

Die Rückfahrt durch Gudbransdalen streift Lillehammer, wo wir einen viel beachteten Badeversuch wagen, und hält einen Tagesaufenthalt in Oslo bereit. Auch die Atlantiktemperaturen vorher reizten niemanden und nirgendwo zum Schwimmen. Als ausdehnungswürdigen Abschluß der Reise empfehlen wir deshalb einen Badeurlaub an der Südküste. Für 20 DM plus Spritkosten fahren wir vom Zeltplatz mit einem Alu-Boot stundenlang die Schärenküste ab, ohne eine Bootsführerprüfung zu besitzen, legen an einigen Inseln an und fühlen uns als Globetrotter unwahrscheinlich wohl. Nur das einlaufende Flaggschiff der ColorLine weit draußen auf See erinnert uns an die notwendige Rückkehr in die Stadt der Baustellen.

Zu weiteren Informationen sind gern bereit Karin und Dieter Schneider.